Rückblick: Lesenswert mit Sr. Marie-Pasquale Reuver

Am 24.6.25 luden die Hauptabteilung IV des Bistums Rottenburg-Stuttgart und die KAMP innerhalb des Formats „Lesenswert“ zu einer wichtigen und inhaltsstarken Veranstaltung zum Thema sexualisierte Gewalt in der Katholischen Kirche ein. Als Referentin konnte Sr. Marie-Pasquale Reuver, Franziskanerin von Sießen, Theologin, ausgebildete Pastoralreferentin und Logotherapeutin, begrüßt werden. Sr. Marie-Pasquale verfügt über langjährige Erfahrung in der Seelsorge, sowohl im klinischen Bereich als auch in der Hochschulgemeinde, und engagiert sich besonders für Menschen, die im kirchlichen Umfeld schwierige Erfahrungen gemacht haben, insbesondere für Betroffene von Missbrauch.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zentrale Aspekte aus ihrem Buch „Missbrauchsbetroffenen in Kirche und Gemeinde sensibel begegnen“. Sr. Marie-Pasquale vermittelte eindrucksvoll, wie herausfordernd es für Seelsorgende sein kann, mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen – und dass Überforderung und Unsicherheit offen angesprochen werden dürfen. Alles sei besser als zu schweigen. Sie betonte die Bedeutung, gemeinsam mit den Betroffenen schwierige Situationen auszuhalten, und verwies darauf, dass mitunter eine Weitervermittlung an geeignete Therapeut:innen vor Selbstüberschätzung seitens der Seelsorgenden schützen könne. Fragen in Gesprächen, in denen sich Betroffene einer Person in der Gemeinde anvertrauen, sollten sich auf die Folgen der Tat richten, nicht auf die Tat selbst – dies sei Aufgabe von Fachleuten.

Ein weiterer wichtiger Punkt war, Betroffene nicht auf ihre Missbrauchserfahrung zu reduzieren, sondern ihre Ressourcen und Kompetenzen zu würdigen. Sr. Marie-Pasquale hinterfragte kritisch das Konzept der vielzitierten und populären „safe spaces“, da diese oft eine Illusion seien und absolute Sicherheit nie garantiert werden könne. Gerade, weil Betroffene mitunter schon die schmerzhafte Erfahrung gemacht haben, dass Kirche kein sicherer Ort ist – insbesondere, wenn der Missbrauch innerhalb der Institution stattfand – ist es umso wichtiger, keine falschen Versprechen zu machen.

Im zweiten Teil der Veranstaltung ging es um die Auswirkungen von Missbrauch auf Glaube und Spiritualität. Sr. Marie-Pasquale zeigte auf, wie erschüttert das Vertrauen Betroffener in sich selbst, andere und auch in Gott sein kann. Die Gemeinde könne hier unterstützend wirken, indem sie Raum für spirituelle Erfahrungen schafft und unterschiedliche, nicht belastende Gottesbilder anbietet. Besonders problematisch seien Vorstellungen von einem strafenden oder fordernden Gott, die Angst oder Schuldgefühle verstärken können. Alternativ empfahl sie apersonale oder weibliche Gottesbilder sowie einen Wechsel zwischen verschiedenen Bildern. Besonders betonte sie auch, dass das Gefühl von Wut willkommen ist und ausdrücklich – etwa in Predigten – erwähnt werden sollte, dass Wut eine legitime und akzeptierte Reaktion ist. Eine weitere wichtige Aufgabe für die Gemeinde, an der sich jede und jeder – auch ohne Leitungsfunktion – aktiv beteiligen kann, ist das Fördern und Herausarbeiten der je eigenen Würde. Ehrenamtliche und Gemeindemitglieder können Betroffene darin unterstützen, ihren eigenen Wert zu erkennen und ihre Meinung als wertvoll anzuerkennen – Erfahrungen, die vielen Betroffenen in der Vergangenheit oft verwehrt geblieben sind. So kann die Gemeinde einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen wieder Vertrauen in sich selbst und ihre Fähigkeiten gewinnen und sich als vollwertigen Teil der Gemeinschaft erleben.

Wir danken Sr. Marie-Pasquale herzlich für ihren kompetenten und sensiblen Austausch, der die Teilnehmenden sowohl fachlich als auch menschlich bereichert hat. Ihr Engagement und ihre zugewandte Art haben diese Veranstaltung zu einem besonderen und wichtigen Beitrag im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche gemacht.

Jasmin Hack